Junges Theater mit einem starken „Biedermann und die Brandstifter“
Werra Rundschau vom 29.10.2024, Eden-Sophie Rimbach, Eschwege
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Eschwege – Im Wohnzimmer strahlt das weiße Tischtuch und Dienstmädchen Anna (Charlotte Kemmsies) befolgt trotz stiller Zweifel mit ruhigem Nicken die an sie gerichteten Anweisungen. Auf dem Dachboden darüber steht ein Benzinkanister am nächsten. Mittendrin fragt die einstige Oberkellnerin Marie Eisenring (Karin Perels) den Hausherrn Gottlieb Biedermann (Sebastian Perels) seelenruhig: „Haben Sie eine Zündkapsel gesehen, Herr Biedermann?“ Der versucht es mit Humor zu nehmen, zündet sich eine Zigarre an. Ganz sachlich erklärt Marie Eisenring ihm: „Die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die Wahrheit.“ Die glaube nämlich niemand.
Dabei liegt sie bei Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“ schon auf der Hand, sobald mit dem Streichholz, das sich der im Sessel sitzende Biedermann anzündet, das Licht auf der Bühne im Eschweger E-Werk angeht. Ein Stück, das vor allem angesichts der aktuellen Lage zum Nachdenken anregen soll, spielt das Junge Theater Eschwege noch viermal. Schallenden Applaus gab es bei der ausverkauften Premiere am Freitag. Regie führt Manfred Rehbaum, der gemeinsam mit Heiko Alsleben die Gesamtleitung hat.
Als Anna jemanden ankündigt, der mit Biedermann, dem Chef einer Haarwasserfabrik, reden möchte, erklärt der mit Zigarre und Weinglas: „Ich bin kein Unmensch, aber es kommt mir keiner ins Haus.“ Mit Appellieren an die Menschlichkeit des Hauseigentümers – vorgetragen mit einer nahezu schaurigen Ruhe – gelingt es dem einstigen Ringer Josef Schmitz sprachlich geschickt (Holger Hämmerling), zuerst eine Mahlzeit und schließlich ein Nachtquartier auf dem Dachboden zu erhalten. Zum Brot, das Biedermann von Anna bringen lässt, fügt der Ringer ganz beiläufig Butter, Fleisch, Käse und mehr hinzu, immer mit dem ruhigen Zusatz: „Nur keine Umstände.“
Während sich Biedermann darauf einlässt, ist er plötzlich vollkommen verändert, als Anna seinen Angestellten Knechtling ankündigt. Laut schimpft er über den Angestellten, der sich doch unter den Gashahn legen solle. Für Biedermann steht fest: „Ich bin einfach zu gutmütig, aber diesem Knechtling werde ich es zeigen.“ Bestimmt wegschicken will seine Ehefrau Babette (Rosie Schmerbach) dagegen Schmitz, den sie für einen der Brandstifter hält, über die ihr Mann täglich in der Zeitung liest. Ihre Warnung bleibt nicht die einzige, die Biedermann widerlegt und zunehmend nicht wahrhaben will. Das Publikum kann förmlich dabei zusehen, wie er nicht nur mit seinem Umfeld, sondern vor allem mit sich selbst und seiner wachsenden Angst verhandelt. Als neben Schmitz dessen Freundin Marie Eisenring auf den Dachboden zieht und sich die Benzinkanister dort geradezu stapeln, weicht Biedermanns Wut Humor und einer Toleranz, die er scheinbar mit aller Gewalt zeigen will. Anfänglich noch nach dem Sinn hinter dem Werk der Brandstifter sucht der letztlich ungehörte Dr. phil. (Manfred Rehbaum). „Nicht jeder Mensch ist ein Brandstifter, finde ich“, entgegnet Biedermann dem Chor aus Feuerwehrkräften (Angelique Weck, Sabrina Werkmeister und Nicole Wolf), die sich längst auf das Feuer vorbereitet haben, und spricht von mehr Menschlichkeit.
Nachdem ihm ein Polizist (Heiko Alsleben) vom tödlichen „Unfall“ Knechtlings berichtet, weist Biedermann auch dessen Witwe (Claudia Neuenfeld) schnell ab. „Gutes zu tun“, attestiert ihm der mahnende Chor, dessen Chorführer (Barbara Hoefel) deutlich erkennt: „Wo es ihm passt.“ Während es beim Zuschauen förmlich unter den Nägeln brennt, in Biedermanns Schicksal einzugreifen, gesellt sich binnen der durchgespielten anderthalb Stunden die Frage dazu, an welchem Punkt das hätte geschehen sollen. Termine: Zu sehen ist „Biedermann und die Brandstifter“ freitags, 1. und 8. November, und samstags, 2. und 9. November, ab 20 Uhr im E-Werk in Eschwege. Karten gibt es unter: junges-theater-eschwege.de/veranstaltungen
Text und Bilder
EDEN SOPHIE RIMBACH